Tote Familie
 
(e.) Twin Gabriel
4 Fotografien, 
je 90 x 180 cm
2004
(e.) Twin Gabriel Vier einzelne Porträts, jeweils die ganze Figur, liegend, senkrecht von oben im gleichen Bildausschnitt fotografiert. Zwei Erwachsene, zwei Kinder (zwei und vier Jahre alt). Alle tragen graue Trainingsanzüge unbestimmter Marken. Die Personen liegen auf dem rohen Beton, die Augen sind geschlossen, die Hände mehr oder weniger auf der Brust gefaltet. Transparentes Grün-Grau verstärkt den Eindruck zwischen Schweben und Sinken. Die Personen erscheinen entfernt. Die Inszenierung ist erkennbar. In der Reihenfolge von links nach rechts: 
Junge, Frau, Mann, Mädchen, oder auch Sohn, Mutter, Vater, Tochter. 
Die vier Fotografien sind entstanden in Vorbereitung der Ausstellung „independence“ (Juni/Juli ‚03) der South London Gallery, in der Arbeiten von (e.) Twin Gabriel 1997/98 in einer Einzelausstellung („floating - floccinaucinihilipilification“ + Katalog) zu sehen waren.  Leben: ungefragt, dumpf, voller Zwänge, als Selbstzweck und Ausscheidung - die Welt als Wille und Wolle - war immer Thema bei (e.) Twin Gabriel. Das Selbst - die Biomasse: als Schnecke unter 5000 anderen Schnecken, („Zuspiel“, 1996/97), als einzelner Plankter unter Milliarden anderer Plankter im Plankton („Limonade. Von Afrika“ 1992-96), oder als konstruierter Name als einer unter 3000 auf dem „Tragbaren Friedhof“ (1991). Und nun das. Man muß nicht den Irakkrieg bemühen, um Gründe aufzuzählen für bleiches Erstarren, Ausharren, Aussitzen, Anliegen und Ableben. 
Totstellen ist eine verbreitete Methode in der Tierwelt, um sich der Aufmerksamkeit des Fressfeindes zu entziehen. Der menschliche kollektive Freitod ist eine unerhörte Provokation. Massensuizide, wie die von Mitgliedern des  „Sonnentempler“-Ordens und der „Heavens Gate“-Sekte, bewirken ein zweifelhaftes Faszinosum. Serielle Disziplin  bis in den Untergang. Das gilt in noch stärkerem Maße z.B. für den Tod der Familie Goebbels im Bunker der Reichskanzlei in Berlin, am 1. Mai 1945. Magda Goebbels vergiftet ihre sechs Kinder mit Zyankali, bevor Joseph und Magda sich mit demselben Gift das Leben nehmen. Hier wird das Entsetzen noch gesteigert durch die Ruchlosigkeit der „bösen Frau“ und „Mutter“. Der trotzige Terror des Selbstopfers in seiner Endgültigkeit erzeugt eine gewisse widerliche Schönheit, der man sich schwer entziehen kann. In diesem Sinne wirken die toten RAF-Terroristen in den 70er Jahren der BRD wie Gespenster, wie der „lange Arm“ der Goebbelskinder.
Das Bild vom toten Menschen und das Spiel mit dem Bild vom toten Menschen erzeugt starke ambivalente Gefühle beim Betrachter. Das nutzen die Massenmedien ganz gezielt. Die Aufregung darüber, welche Bilder gezeigt werden dürfen und welche nicht, entzündet sich insbesondere bei der Abbildung von Toten - mit dem Ergebnis, dass man sie am Ende zu sehen bekommt. Sich dem Sog hinzusehen zu entziehen, ist schwer, obwohl man schon vorher weiß, dass sich immer irgendeine Gradation von Grauen einstellt - ein Schauder, der dem gewissenhaften Menschen unredlich erscheint. So hat die Betrachtung von Toten, selbst in Würde, immer auch etwas Schmieriges, Banal-Lüsternes, etwas, dessen man sich unwillkürlich schämt. 
Die Erkenntnis, dass das eigentliche Kunstwerk erst im Kopf des Betrachters entsteht, spielt in den Arbeiten von (e.) Twin Gabriel eine große Rolle. Ihre Inszenierungen sind nicht perfekt. Sie arbeiten mit Schlüsselreizen und dem unermüdlichen, unbarmherzigen Charme der präzisen Improvisation. Die akribische Recherche und aufwendige Vorbereitung ihrer Foto- und/oder Videoperformances (seit Jahren verschwörerisch ausschließlich ohne Publikum) bleiben verborgen in der Annahme, dass es letztlich wirkungsvoller und gewitzter sei, dem Betrachter zu suggerieren, er hätte selbst „die Idee“ dazu...